Text: Elena Newerdowski
Es sieht so aus, als ob "Nomad" ein
wichtiges Schlüsselwort der Gegenwart (oder auch der Zukunft) wäre. Du gehst
auf die Reise, du bist ständig unterwegs. Was nimmst du mit? Alle würden
unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben. Einer nimmt einen
Gegenstand mit, eine Badewanne, zum Beispiel. Und ein anderer packt nur ein
paar Gefühle in "die Tasche". Beide Möglichkeiten konnte man auf der
Möbelmesse imm cologne 2016 beobachten.
Jurte, Innenausstattung. Bischkek. Foto: Elena Newerdowski |
Über die
Badewanne von einer jungen Münchener Designerin Carina Deuschl wurde sogar in
der FAZ geschrieben. Kein Wunder: Der Prototyp XTEND, der 7 kg wiegt und überall aufgestellt werden kann, wurde
für German Design Award 2016, Newcomer nominiert.
Optisch ähnlich sah ein Entwurf „Otaku“
von Bachelor, Universität der Künste Berlin, aus: leicht, mager, aber leider
nicht klappbar. Kein Problem: ein paar Schritte weiter stand ein mobiles Haus,
ein gemeinsames Projekt von zwei Design-Hochschulen, das nicht so ganz mobil,
also "nomad" wäre.
Warum? Um zu funktionieren, würde das alleinstehende Appartement (oder Office),
viele Anschlüsse brauchen: Strom, Wasser, Kanalisation. Eine leichte Badewanne
wäre in solchem mobilen aber nicht ganz autonomen Haus auch nicht verkehrt.
„Otaku“ von Bachelor, Universität der Künste Berlin. imm cologne 2016. Foto: Elena Newerdowski |
Um Gefühle ging
es im Projekt "Hörgefühl" von Alica Borgmann, einer Studentin
der Folkwang Universität der Künste Essen. Ihre Idee war, so erkl'rte sie, ein
Gefühl von "Zuhause-sein" zu vermitteln. Ein Buch als Speichermedium
sollte einige Heimat-Geräusche herbergen und wiedergeben. Aber nicht wie ein
kaltes digitales Gerät, sondern durch die Handlung mit seinen Seiten: antasten,
umknicken, streicheln. Und jener, der das Buch aufmacht und blättert,
sollte dabei etwas hören. Zum Beispiel könnten es die Geräusche sein, die in
einem airbnb-Appartament aufgenommen
wurden, um dem Gast die Atmosphäre des Hauses näher zu bringen. Oder umgekehrt:
ein eigenes "Hörgefühl" zum Mitnehmen, um dem Heimweh vorzubeugen.
Die Heimat.
. "Hörgefühl" von Alica Borgmann, Folkwang Universität der Künste Essen. imm cologne 2016. Foto: Elena Newerdowski |
"Hörgefühl" von Alica Borgmann, Folkwang Universität der Künste Essen. imm cologne 2016. Foto: Elena Newerdowski |
Und da kam die
Frage, was Heimat ist? Für uns? Und für Nomaden? Wie kann man die Heimat
definieren, wenn man überhaupt kein an einen Ort gebundenes Heim hat? Meine
erste spontane Antwort war: das Gedächtnis. Und da kam die Erinnerung an das
Gespräch mit dem Ethnographen vom Historischen Museum in Almaty (Kasachstan),
der mir die Bedeutung des Jurte-Baus und der Ausstattung des inneren Raums
erklärte.
Jurte, Innenausstattung. Almaty. Foto: Central State Museum of the Republic of Kazakhstan |
Die Jurte ist
das traditionelle Filzhaus der
Hirtennomaden aus Zentralasien und Kasachstan. Sie hat nur ein Raum (rund),
eine Tür, ein Fenster, das gleichzeitig eine Öffnung für den Rauch der
Feuerstelle ist, und dazu auch noch eine sakrale Bedeutung hat. In der Jurte
gibt es keine übliche Aufteilung: Schlaf- oder Wohnraum, Küche oder Essecke…
Nein. Die Aufteilung ist ganz anders: alles hat einen symbolischen Sinn.
Gegenüber der Tür ist der wichtigste Platz, der Hauptsitz des Herrn des Hauses.
Von diesem Sitz gesehen, wird die Jurte in zwei Hälfte geteilt: die rechte, männliche,
die linke, weibliche.
Auf die rechte Seite gehören alle Männersachen: Waffen und
Pferdegeschirre, Sattelzeug. Links steht das einzige Bett, und auf dieser Seite befinden
sich die Küchenutensilien und das Geschirr - Frauensachen also.
Das ganze Leben der Steppennomaden ist
"topografisch" im Raum der Jurte reglementiert: wo man schlafen
sollte, wo geheiratet und ein neues Leben erzeugt wird, wo die Frau ein Kind
zur Welt bringen soll, an welcher Seite das Neugeborenes schlafen darf,
wo ein Verstorbene liegen muss, bevor seine Leiche weggetragen wird. Und wann die Leiche die Jurte durch die Tür verlassen
darf und in welchem Fall sie durch
die gehobene Filzwand weggeschafft
werden muss. Die Dinge, die im Filzhaus stehen, hängen
oder liegen, sind nicht nur funktionell, sondern haben auch symbolische
Bedeutung. Und deren Ornamente eben auch.
Das Ganze ist sehr kompliziert. Ein Heim
ist kein Ort, sondern eher eine Gesetzsammlung, das kollektive Gedächtnis. Und
die Heimat? Ein Ort oder kein Ort, vielleicht ist sie die Möglichkeit, das
Leben nach traditionellen Regeln zu ordnen?
Jurte, Innenausstattung. Almaty. Foto: Central State Museum of the Republic of Kazakhstan |
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