Mittwoch, 27. Januar 2016

Be Nomad, nimm dein Heim, deine Heimat mit


Text: Elena Newerdowski

Es sieht so aus, als ob "Nomad" ein wichtiges Schlüsselwort der Gegenwart (oder auch der Zukunft) wäre. Du gehst auf die Reise, du  bist ständig unterwegs. Was nimmst du mit? Alle würden unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben. Einer nimmt einen Gegenstand mit, eine Badewanne, zum Beispiel. Und ein anderer packt nur ein paar Gefühle in "die Tasche". Beide Möglichkeiten konnte man auf der Möbelmesse imm cologne 2016 beobachten.

Jurte, Innenausstattung. Bischkek. Foto: Elena Newerdowski

Über die Badewanne von einer jungen Münchener Designerin Carina Deuschl wurde sogar in der FAZ geschrieben. Kein Wunder: Der Prototyp XTEND, der 7 kg wiegt und überall aufgestellt werden kann, wurde für German Design Award 2016, Newcomer  nominiert. 
Optisch ähnlich sah ein Entwurf „Otaku“ von Bachelor, Universität der Künste Berlin, aus: leicht, mager, aber leider nicht klappbar. Kein Problem: ein paar Schritte weiter stand ein mobiles Haus, ein gemeinsames Projekt von zwei Design-Hochschulen, das nicht so ganz mobil, also "nomad" wäre. Warum? Um zu funktionieren, würde das alleinstehende Appartement (oder Office), viele Anschlüsse brauchen: Strom, Wasser, Kanalisation. Eine leichte Badewanne wäre in solchem mobilen aber nicht ganz autonomen Haus auch nicht verkehrt.  
„Otaku“ von Bachelor, Universität der Künste Berlin. imm cologne 2016. Foto: Elena Newerdowski

Um Gefühle ging es im Projekt "Hörgefühl" von  Alica Borgmann, einer Studentin der Folkwang Universität der Künste Essen. Ihre Idee war, so erkl'rte sie, ein Gefühl von "Zuhause-sein" zu vermitteln. Ein Buch als Speichermedium sollte einige Heimat-Geräusche herbergen und wiedergeben. Aber nicht wie ein kaltes digitales Gerät, sondern durch die Handlung mit seinen Seiten: antasten, umknicken, streicheln.  Und jener, der das Buch aufmacht und blättert, sollte dabei etwas hören. Zum Beispiel könnten es die Geräusche sein, die in einem airbnb-Appartament aufgenommen wurden, um dem Gast die Atmosphäre des Hauses näher zu bringen. Oder umgekehrt: ein eigenes "Hörgefühl" zum Mitnehmen, um dem Heimweh vorzubeugen. Die Heimat.  
. "Hörgefühl" von  Alica Borgmann, Folkwang Universität der Künste Essen. imm cologne 2016. Foto: Elena Newerdowski



"Hörgefühl" von  Alica Borgmann, Folkwang Universität der Künste Essen. imm cologne 2016. Foto: Elena Newerdowski

Und da kam die Frage, was Heimat ist? Für uns? Und für Nomaden? Wie kann man die Heimat definieren, wenn man überhaupt kein an einen Ort gebundenes Heim hat? Meine erste spontane Antwort war: das Gedächtnis. Und da kam die Erinnerung an das Gespräch mit dem Ethnographen vom Historischen Museum in Almaty (Kasachstan), der mir die Bedeutung des Jurte-Baus und der Ausstattung des inneren Raums erklärte.  
Jurte, Innenausstattung. Almaty. Foto: Central State Museum of the Republic of Kazakhstan

Die Jurte ist das traditionelle Filzhaus der Hirtennomaden aus Zentralasien und Kasachstan. Sie hat nur ein Raum (rund), eine Tür, ein Fenster, das gleichzeitig eine Öffnung für den Rauch der Feuerstelle ist, und dazu auch noch eine sakrale Bedeutung hat. In der Jurte gibt es keine übliche Aufteilung: Schlaf- oder Wohnraum, Küche oder Essecke… Nein. Die Aufteilung ist ganz anders: alles hat einen symbolischen Sinn. Gegenüber der Tür ist der wichtigste Platz, der Hauptsitz des Herrn des Hauses. Von diesem Sitz gesehen, wird die Jurte in zwei Hälfte geteilt: die rechte, männliche, die linke, weibliche. 
 
Recht, männliche Seite. Jurte, Innenausstattung. Bischkek. Foto: Elena Newerdowski
Auf die rechte Seite gehören alle Männersachen: Waffen und Pferdegeschirre, Sattelzeug. Links steht das einzige Bett, und auf dieser Seite befinden sich die Küchenutensilien und das Geschirr - Frauensachen also. 
 
Linke, weibliche Seite. Jurte, Innenausstattung. Bischkek. Foto: Elena Newerdowski
Das ganze Leben der Steppennomaden ist "topografisch" im Raum der Jurte reglementiert: wo man schlafen sollte, wo geheiratet und ein neues Leben erzeugt wird, wo die Frau ein Kind zur Welt bringen soll, an welcher Seite das  Neugeborenes schlafen darf, wo ein Verstorbene liegen muss, bevor seine Leiche weggetragen wird. Und wann die Leiche die Jurte durch die Tür  verlassen darf und in welchem Fall sie durch die gehobene Filzwand weggeschafft werden muss. Die Dinge, die im Filzhaus stehen, hängen oder liegen, sind nicht nur funktionell, sondern haben auch symbolische Bedeutung. Und deren Ornamente eben auch. 
Das Ganze ist sehr kompliziert. Ein Heim ist kein Ort, sondern eher eine Gesetzsammlung, das kollektive Gedächtnis. Und die Heimat? Ein Ort oder kein Ort, vielleicht ist sie die Möglichkeit, das Leben nach traditionellen Regeln zu ordnen? 
Jurte, Innenausstattung. Almaty. Foto: Central State Museum of the Republic of Kazakhstan

Es ist vorstellbar, ein "Hörgefühl" auf eine Reise mitzunehmen, als Erinnerung. Aber eine Erinnerung verblasst mit der Zeit und irgendwann stirbt sie sogar. So ein „Hörgefühl“ braucht einer, der verreist und dann irgendwann nicht unbedingt zurück, einfach „nach Hause“ kommt. Für einen langen Weg, für Nomaden-Sein reicht das allein nicht. Vielleicht hätte es mehr Sinn für einen Nomaden (moderne oder unmoderne), etwas Immaterielles mitzunehmen, etwas, was man weitergeben kann: Kenntnisse und Fähigkeiten, Handwerk. 

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